Klimaneutralität

Aus Klimastreik Schweiz
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Mehr als 26’000 Wissenschaftler*innen aus dem deutschsprachigen Raum geben dem Klimastreik Recht. Warum? Die zentralen Konzepte und Erkenntnisse in Kurzform.

Der „Weltklimarat“, der IPCC, hat 2018 einen Sonderbericht veröffentlicht, der besagt dass die menschliche Aktivität zu einer globalen Erwärmung von 0.8-1.2°C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit geführt habe. Steigt die Temperatur mit der aktuellen Rate weiter an, sei anzunehmen, dass sich die globale Durchschnittstemperatur zwischen 2030 und 2052 um 1.5°C erhöhen wird [1]. Wieso kann man davon ausgehen, dass der Klimawandel menschengemacht ist?


Klimatische Schwankungen treten auch natürlich auf. Starke Temperaturschwankungen, zum Beispiel zwischen Kalt- und Warmzeiten, sind, über Jahrmillionen betrachtet, immer wieder aufgetreten. Trotzdem ist erwiesen: der aktuelle globale Temperaturanstieg ist menschlichen (anthropogenen) Ursprungs. Um das zu überprüfen, wurden Klimamodelle mit und ohne menschlichen Einfluss berechnet und mit den tatsächlichen Beobachtungen in Simulationsexperimenten verglichen. Wenn die Beobachtungen nur mit den Modellen mit menschlichem Einfluss reproduzierbar sind, kann man von einem anthropogen verursachten Klimawandel ausgehen [2].

Natürlich gilt es zu berücksichtigen, dass ein Zusammenhang (Korrelation) nicht zwingend auf Ursächlichkeit (Kausalität) hindeutet. So gibt es beispielsweise auch eine Korrelation zwischen der Anzahl Leute, die in ihrem Swimmingpool ertrunken sind und der Stromerzeugung US-amerikanischer Kernkraftwerke [3], aber ein kausaler Zusammenhang scheint hier absurd.

Bei den Klimamodellen ist ein kausaler Zusammenhang aber sicher, da die beobachteten Werte nur bei Modellen reproduziert werden, die die anthropogenen Emissionen berücksichtigen [2].

Warum wird es wärmer?

Die unterschiedlichsten Prozesse auf unserem Planeten werden durch die Energie der Sonnenstrahlung ermöglicht. Ein Teil der Sonnenstrahlung gelangt allerdings nie auf die Erdoberfläche. Er wird von verschiedenen Gasen, Aerosolen und Wolken in der Atmosphäre reflektiert, absorbiert oder gestreut.

Der Teil der Strahlung, der durch die Atmosphäre auf den Erdboden gelangt, wird teilweise absorbiert (im globalen Mittel 70%); der Rest wird reflektiert (etwa 30%) [4]. Der absorbierte Teil der Strahlung erwärmt den Boden, das Wasser, angrenzende Luftschichten und liefert Energie für Organismen. Die erwärmte Oberfläche gibt wiederum einerseits fühlbare Wärme an die Atmosphäre ab und sendet andererseits Wärmestrahlung aus. Im natürlichen Gleichgewicht strahlt die Erde genau so viel Energie ab, wie sie über die Sonne aufnimmt. Berechnet man die Temperatur aus diesem Gleichgewicht, ergibt sich eine globale Durchschnittstemperatur von ca. -18°C. Tatsächlich herrscht aber eine Oberflächentemperatur von 15°C.

Der natürliche Treibhauseffekt erklärt diese Diskrepanz: Die Gase in der Atmosphäre verhindern, dass die gesamte von der Erde emittierte Wärmestrahlung direkt ins All entweicht. Denn diese wird im Gegensatz zur solaren Strahlung, aufgrund ihrer Wellenlänge, gut von atmosphärischen Gasen absorbiert.

Nur ausserhalb des Wellenlängenbereichs, in dem die meisten atmosphärischen Gase absorbieren, kann Strahlung von der Erdoberfläche direkt zurück ins All reflektiert werden. Zu den Gasen, die in den Bereichen absorbieren, durch die die Strahlung ins All entweichen könnte, gehören Wasserdampf, Kohlenstoffdioxid, Ozon, Methan, Lachgas und FCKW. Wir nennen sie „Treibhausgase“. Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, desto kleiner werden die „Fenster“, durch die die Strahlung entweichen kann. Vereinfacht könnte man also sagen: Treibhausgase funktionieren wie eine Decke. Je dicker die Decke, desto wärmer wird es.

Was sind „Rückkopplungseffekte“ und „tipping points“?

Nehmen die Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre zu, steigt die Temperatur und durch eine Verstärkung des Treibhauseffekts ist unter anderem mit vermehrten Eisschmelzen zu rechnen. Die reflektierende weisse Oberfläche weicht absorbierendem dunklem Boden oder Wasser. Weniger Sonnenstrahlung wird reflektiert und die Erwärmung wird weiter beschleunigt. Durch das Schmelzen von Permafrostböden wird dort eingeschlossenes Methan freigesetzt. Ausserdem fördert die zunehmende Erwärmung den Abbau organischer Substanzen im Boden, was wiederum bisher gespeicherten Kohlenstoff in Form von CO2 freisetzt.

Das Freisetzen weiterer Treibhausgase allein als Konsequenz der Erwärmung und die Verringerung der reflektierten Strahlung, verstärken also den Treibhauseffekt zusätzlich. Sie werden als „positive Rückkopplungseffekte“ bezeichnet. Das heisst: je wärmer es wird, desto mehr Rückkopplungseffekte treten auf und desto wärmer wird es. Damit gibt es noch mehr verheerende Konsequenzen – selbst, wenn nur noch vergleichsweise wenig Treibhausgase emittiert werden. Der Klimawandel verstärkt sich also selbst.

Wann die Effekte dieser Prozesse in welchem Ausmass auftreten, ist nicht sicher. Wir wissen auch nicht, was für zusätzliche Risikofaktoren noch berücksichtigt werden müssen. Das Schmelzen des Eises und der Permafrostböden sind nur wenige der möglichen „tipping points“, deren überschreiten erhebliche Konsequenzen haben wird [6].

Wie brenzlig ist es denn?

Die vergangenen vier Jahre waren die heissesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wenn sich die globale Durchschnittstemperatur weiter erhöht, hat das drastische Auswirkungen auf unsere Ökosysteme und die Weltbevölkerung. Bereits heute sind Folgen wie Dürren, Hitzewellen, Waldbrände und Starkniederschläge spürbar. Die aktuellen Massnahmen werden das Klimaziel von 1.5°C deutlich verfehlen und wahrscheinlich sogar zu einer Erwärmung von mehr als 3°C führen.

Überschreiten wir die „tipping points“ und setzen die positiven Rückkopplungseffekte ein, wird eine Rückkehr zu heutigen globalen Temperaturen auch mit netto Null Treibhausgas-Emissionen unrealistisch. Folgen sind weitere Extremwetterereignisse, Anstieg der Meeresspiegel, Verlust von Bodenfruchtbarkeit, landwirtschaftlicher Nutzfläche und Artenvielfalt, sowie nachhaltige Schädigung von Ökosystemen und folglich auch Trinkwasser- und Nahrungsmittelknappheiten [7]. Es verschwinden Lebensraum und Lebensgrundlage – somit sind die Grundpfeiler unserer Zivilisation in Gefahr.

Im IPCC 1.5°-Sonderbericht heisst es ausserdem, dass ein Temperaturanstieg um ca. 2°C mehr Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben wird, als eine Erwärmung um 1.5°C. Es würde mehr hitzebedingte Todesfälle, aber auch vermehrte Ausbreitungen von Erkrankungen wie Malaria oder Dengue-Fieber geben [1]. Durch schnelles und konsequentes Einschreiten können die Erderwärmung und die Folgeschäden jedoch begrenzt werden. Je schneller die Netto-Emissionen der Treibhausgase gesenkt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir das 1.5°C-Ziel noch einhalten können [7].

Und jetzt?

Ein wichtiger Bereich der Klimaforschung ist die Berechnung des so genannten CO2-Budgets: Wie viel CO2 darf durch die Menschen noch zusätzlich in die Atmosphäre eingebracht werden, ohne dass die Erwärmung des Klimas die 1.5°C Grenze überschreitet? Gemäss dem IPCC 1.5°-Sonderbericht darf nur noch gerade die achtfache Menge der jetzigen jährlichen weltweiten CO2-Emissionen in die Atmosphäre gelangen – falls die Emissionen also weiterhin konstant bleiben, müsste in acht Jahren weltweit auf einen Schlag alles CO2, das ab dann noch durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen entsteht, sofort wieder aus der Atmosphäre entfernt werden – also netto Null Emissionen erreicht werden.

CO2 kann aus der Atmosphäre durch Wiederaufforstung von gerodeten Wäldern oder durch technische Prozesse zur Gewinnung von reinem CO2 mit anschliessend sicherer Einlagerung in geeigneten Gesteinsschichten oder leeren Öl- und Gasquellen entfernt werden. Bei den technischen Prozessen erfolgt die Entnahme aus der Luft entweder durch die Methode BECCS (bioenergy with carbon capture and storage): Holz und andere pflanzliche Bestandteile aus nachhaltig bewirtschafteten Quellen werden in Kraftwerken verbrannt, das dabei entstehende CO2 wird anschliessend aus den Abgasen gefiltert. Oder durch DACS (direct air capture and storage): CO2 wird mit geeigneten Filtern direkt aus der Luft entnommen.

Ein plötzliches Erreichen von netto Null in acht Jahren ist allerdings unwahrscheinlich. Eine realistischere Möglichkeit wäre, ab sofort die jährlichen Emissionen jedes Jahr um über 10 % zu reduzieren. Auch so könnte das CO2-Budget für das 1.5°C-Ziel eingehalten werden. Leider ist ohne ein sofortiges beherztes Eingreifen der Politik eine jährliche Reduktion über 10 % für die nächste Zeit nicht zu erwarten. Deshalb hat der IPCC im 1.5°-Sonderbericht Szenarien entworfen, die davon ausgehen, dass ab etwa 2050 mehr CO2 aus der Luft entnommen als durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen in die Luft abgegeben wird – netto negative Emissionen. Je länger wir mit der Reduktion der Emissionen warten, desto höher müssten die netto negativen Emissionen ab 2050 ausfallen. Die Szenarien reichen von sehr moderaten negativen Emissionen bis zu negativen Emissionen, die über die Hälfte der jetzigen jährlichen Emissionen ausmachen. Die Finanzierung solcher Projekte würde uns vor enorme Herausforderungen stellen – es müsste mit Kosten im Umfang der heutigen Ausgaben für alle Energiebeschaffungen gerechnet werden. Wer würde das bezahlen? Wie kann das gerecht aufgeteilt werden? Diese und weitere Unsicherheiten stellen zukünftige, grössere netto negative Emissionen in Frage. Sie machen klar, dass wir die (vielleicht ohnehin unmögliche) Wiederherstellung einer für Mensch und Natur lebensfreundlichen Atmosphäre keinesfalls künftigen Generationen aufbürden dürfen, nur um heute etwas länger fossile Brennstoffe verbrennen zu können und wirksame Massnahmen in die Zukunft zu verschieben [8].

Wir müssen handeln – und zwar jetzt.